„50 BIS 90 PROZENT DES SPIELS SIND MENTAL“ 

Wenn Tobias Harris von den Philadelpha 76ers mal das eine oder andere schlechte Spiel abliefert oder seinen Wurf nicht so regelmäßig wie gewohnt trifft, dann ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass der 27-jährige NBA-Profi Rainer Meisterjahn um Rat fragt: Der Sportpsychologe arbeitet seit einigen Jahren als Mentalcoach in der stärksten Liga der Welt. Auch die Trainer und Spieler von s.Oliver Würzburg werden von ihm seit der vergangenen Saison in vielen Bereichen unterstützt. Wie das abläuft und was Basketballer von ihm lernen können, erklärt er im ausführlichen Interview.

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Servus Rainer – du kommst aus Arpe im Sauerland und hast dir als Mentalcoach von NBA-Profis einen Namen gemacht. Kannst du uns diesen ungewöhnlichen Werdegang kurz erklären? 

Ich habe relativ spät mit dem Basketball angefangen, und es gab bei uns in der Region auch nur wenige Möglichkeiten. Ich habe mich dann aber schnell in den Sport verliebt und hatte die Möglichkeit, in den USA ein Jahr lang auf der Highschool zu spielen. Nach Abitur und Zivildienst habe ich dann das Glück gehabt, ein Stipendium zu bekommen und auf einem kleinen College in Maine spielen zu können. Danach habe ich unter Eric Detlev in Rhöndorf noch ein Jahr in der Regionalliga gespielt und habe irgendwann gemerkt, dass es als Spieler für ganz oben wohl nicht reichen wird. Deshalb bin ich zurück in die USA, habe meinen Master gemacht und promoviert. Schon während des Bachelor-Studiums habe ich mich auf Psychologie konzentriert und dann gemerkt, dass ich durch Sportpsychologie meine beiden Interessen verbinden kann. Auf der Uni habe ich schon mit Tobias Harris zusammengearbeitet, der dann zu den Milwaukee Bucks gegangen ist. So konnte ich in der NBA Fuß fassen und das alles hat sich entwickelt. 


Hattest du selbst mal das Ziel, NBA-Profi zu werden? 

Das war als Jugendlicher mein Ziel, wenn ich vor dem Haus auf den Korb geworfen habe, bis es dunkel wurde. Ich habe mir auch alte NBA-Videos reingezogen. Irgendwann sind mir dann meine Grenzen als Spieler aufgezeigt worden. Als dann Spieler in die NBA kamen, die jünger waren als ich, habe ich gemerkt, dass es mit der NBA-Karriere wohl etwas eng für mich wird … 


Warum hast du dich auf den Bereich Mental-Training spezialisiert? 

Weil mich Menschen einfach sehr interessieren. Ich habe mich schon immer dafür interessiert, wie Menschen denken und fühlen, und finde das im Sportbereich sehr spannend. Es ist ein Bereich, der häufig unterbewertet ist. Jeder Spieler sagt dir, dass 50 bis 90 Prozent seines Spiels mental ist, aber trotzdem arbeitet fast niemand daran. Ich finde es faszinierend, deshalb bin ich in diese Richtung gegangen.


Du bist Doktor der Sportpsychologie – wie kam es konkret zu den ersten Kontakten und Aufgaben im Profi-Basketball? 

Ich hatte bereits während meiner Zeit in Rhöndorf das Glück, die ersten Profi-Spieler kennenzulernen. Damals konnte ich auch eine gute Beziehung zu Mike Koch aufbauen, der die Telekom Baskets Bonn trainiert hat. Für meine Doktorarbeit habe ich dann amerikanische Profis zu ihren Erfahrungen in Europa interviewt. Dabei habe ich Leute wie Chris Ensminger kennengelernt, mit dem ich sehr eng befreundet bin. Dadurch hat sich das nach und nach entwickelt. Ich habe es durch viel Networking geschafft, im Profisport Fuß zu fassen. Wenn man dabei geduldig genug ist, ergeben sich irgendwann die Möglichkeiten. 


Du bist durch deine Tätigkeit ein Wanderer zwischen verschiedenen Basketball-Welten. Wo wird deiner Ansicht nach der beste Basketball gespielt? 

„Es ist in den Vereinigten Staaten einfach ein anderer Basketball als in Europa. In der NBA spielen die besten Athleten der Welt. In der EuroLeague ist das Niveau auch sehr hochklassig, ebenso wie in anderen europäischen Wettbewerben. Auch die BBL ist eine starke Liga. Der größte Unterschied ist einfach die Athletik. Was das Skill-Level der Spieler betrifft, findet man auch in Europa sehr guten Basketball. Nachdem hier weniger Spiele gespielt werden, ist es häufig auch hochklassiger, was den Einsatz angeht und wie hart gespielt wird. Eine NBA-SAison ist sehr lang, und man sieht oft einen deutlichen Unterschied zwischen den Spielen in der regulären Saison und den Playoffs.“ 


Du hast schon Tobias Harris erwähnt, der seit 2011 für verschiedene Clubs in der NBA spielt. Mit welchen anderen Spielern arbeitest du zusammen? 

In der letzten Saison habe ich viel mit den Miami Heat zusammengearbeitet, vor allem mit ihren jungen Spielern. Wir haben dort ein System für Mentaltraining implementiert. Die Coaches waren dafür sehr offen, deshalb hat mir das sehr viel Spaß gemacht. Ich arbeite auch mit einigen Profis in Deutschland. Außerdem habe ich im Vorfeld des NBA-Drafts für verschiedene Organisationen wie die Milwaukee Bucks, Utah Jazz und Miami Heat Kandidaten interviewt. Wir machen Persönlichkeits-Tests, um zu verstehen, wie die Spieler ticken und ob sie in die Kultur des jeweiligen Clubs passen, wenn sie gedraftet werden. 


Das bedeutet, dass deine Einschätzung eines Spielers auch Einfluss darauf hat, ob er auf der Draft-Liste eines Teams bleibt oder nicht? 

Unter Umständen schon. Außerdem geht es darum, den Coaches Tipps an die Hand zu geben, wie man einen bestimmten Spieler am besten unterstützen und fördern kann. 


Für uns als Würzburger ist es ja nicht so leicht, die Miami Heat gut zu finden, seit sie 2006 Dirk Nowitzki und die Dallas Mavericks in den NBA Finals besiegt haben …

Ich war damals natürlich auch ein riesiger Mavericks- und Nowitzki-Fan und habe mir gewünscht, dass Dirk den Titel gewinnt. 2006 war wahrscheinlich für jeden deutschen Basketball-Fan schmerzhaft. Ich bin auch sehr gut mit Adrian Griffin befreundet, der damals mit Dirk zusammen im Finale stand. 2011 war dann natürlich richtig Klasse. Im Trainingszentrum der Miami Heat hängen viele Bilder aus 2006, auf denen man auch die Mavericks-Spieler sieht, aber nichts von 2011.


Du arbeitest inzwischen auch für uns immer wieder als Mental-Coach. Wie kam es dazu? 

Denis und ich haben uns vor ein paar Jahren kennengelernt, als er Headcoach in Köln war. Dann konnte ich dort ein paar Monate als Mentalcoach arbeiten, und es hat einfach gepasst. Denis ist sehr offen, was das Mentaltraining angeht und auch sehr interessiert daran, diese Kultur aufzubauen. Letztes Jahr konnten wir hier in Würzburg schon mal ein wenig damit anfangen und in dieser Saison auf diesen Grundlagen aufbauen. 


Wie sieht deine Arbeit konkret aus? Wie kannst du als Mental-Trainer unsere Coaches und Spieler unterstützen? 

Das passiert auf verschiedenen Ebenen. Ein großer Bereich ist natürlich das Mentaltraining selbst, mit dem ich den Spielern dabei helfe, auf dem Feld fokussiert zu bleiben, im Spiel mit einem gewissen Selbstvertrauen aufzutreten und Ablenkungen beiseite zu schieben. Außerdem ist es sehr wichtig, die Spielkultur und DNA des Teams aufzubauen und dafür konkret mit den Spielern zu arbeiten. Die Identität der Spieler sollte bis zu einem gewissen Grad durch die DNA des Teams geprägt werden, dabei kann ich die Jungs unterstützen. Wir haben zu Beginn der Saison und auch jetzt wieder Workshops gemacht, um die „core values“, also die zentralen Werte mit den Spielern auf dem Parkett und abseits des Feldes umzusetzen. Dazu gehören auch die Club-DNA und die Indentität, die s.Oliver Würzburg inzwischen für die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und die Business-Ebene entwickelt hat. Das alles lässt sich auch auf den sportlichen Bereich übertragen, es gibt dabei viele Schnittstellen zur Mannschaft. Man muss auf allen Ebenen darauf achten, wie man mit seinen Emotionen umgeht, wie man miteinander arbeitet und wie man dadurch letztendlich die Kultur im Verein prägt. 


Mit welchen unserer Spieler hast du schon gearbeitet, und wie konntest du ihnen konkret weiterhelfen? 

Den zweiten Teil der Frage können die Spieler am besten beantworten. Ich habe eigentlich schon mit allen Jungs auf verschiedenen Ebenen arbeiten können. Bei manchen geht es um konkrete Sachen wie die Konzentration auf dem Court oder das fehlende Selbstvertrauen in einer Wurfkrise, also die effektive mentale Vorbereitung auf das Spiel. Bei anderen geht es eher darum, die Führungsqualitäten zu prägen und ihnen zu zeigen, wie sie am besten mit ihren Mitspielern umgehen. 


Wie funktioniert das genau, nachdem du ja nicht immer in Würzburg sein kannst? 

Das funktioniert heutzutage online über Facetime und Skype einwandfrei. Ich schaue mir natürlich jede Woche die Spiele an und gebe den Jungs und den Coaches danach Feedback. Viele Spieler bevorzugen es sogar, von zuhause aus über das Internet mit mir zu kommunizieren, das passt also wunderbar. Die meisten Spieler der jungen Generation sind es absolut gewohnt, dafür ihr Smartphone zu benutzen. Wenn ich dann ein paar Mal pro Saison hier bin, kann ich das Training beobachten, mir die Spiele aus nächster Nähe anschauen und vor Ort ein paar Impulse setzen. 


Was sind die wichtigsten Werkzeuge, die du einem Spieler an die Hand geben kannst? 

Besonders wichtig sind die grundlegenden Dinge. Wie kann man reflektieren, wenn es gut läuft oder wenn es schlecht läuft? Wie schätzt man sich selbst ein? Nimmt man sich als Spieler überhaupt die Zeit, darüber nachzudenken, was nicht so gut geklappt hat und was dabei die Gedankengänge und Emotionen waren? Damit kann ich den Jungs helfen, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die die Leistung auf dem Court ausmachen. Es gibt auch viele Ablenkungen, die ihnen im Weg stehen können. Dann muss man dem Spieler dabei helfen, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren und auf die Dinge, die er selbst kontrollieren kann. Das beeinflusst auch das Selbstvertrauen oder die Führungsqualitäten eines Spielers.


Lassen sich auch unsere Coaches von dir helfen? Kannst du ihnen vielleicht sogar noch etwas beibringen? 

Auf jeden Fall. Das war für mich auch der große Anreiz, nach Würzburg zu kommen und weiter mit Denis zusammenzuarbeiten. Stephen Key ist auch nicht anders, er hat dieselbe große Offenheit. Dass sie es beide mit ihrer großen Erfahrung beibehalten haben, weiter lernen zu wollen, ist eine gute Sache für mich und meinen Job. Dadurch kann ich ihnen Dinge mit auf den Weg geben, die nicht nur ihnen helfen, sondern auch den Spielern – zum Beispiel, wie man mit verschiedenen Spielerpersönlichkeiten effektiv kommuniziert und sie motiviert. 


Rainer Meisterjahn im Internet:

www.courtexperformance.com
twitter.com/courtexperform
instagram.com/courtexperformance/

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Rainer Meisterjahn im Gespräch mit Jordan Hulls

Foto: Steffen Wienhold